Buchempfehlung: Siddharth Kara, Blutrotes Kobalt

Buchempfehlung: Siddharth Kara, Blutrotes Kobalt. Der Kongo und die brutale Realität hinter unserem Konsum. Aus dem Englischen von Hans Freundl. HarperCollins Hamburg 2024

 

Ein faustgroßer Brocken Heterogenit, eine betörende Mischung aus Blaugrün und Azurblau mit silbernen Einsprengseln, überzogen mit orangen und rötlichen Flecken: eines der hochgradigsten Kobalterze der Welt. Einst wertvolles blaues Pigment in der Kunst, heute von der Europäischen Union als „kritisches und strategisches Mineral“ eingestuft. Siddharth Kara, indischstämmiger US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Autor des Buches „Blutrotes Kobalt“, hält es in Kasulo in der Demokratischen Republik Kongo, DRK, in der Hand. Nichts ist für ihn nach seinen Reisen in den „Kupfergürtel“ im Kongo noch so, wie es vorher war. Er hat unzählige Kinder, acht bis 13 Jahre alt, schuften sehen. Er hat verstümmelte, bei lebendigem Leib verschüttete, kaltblütig erschossene Kinder dokumentiert. Als Inder ist es ihm gelungen, auf teils formalen, teils verschlungenen Wegen an die undurchsichtigen Schnittstellen von Kleinschürfern und Zwischenhändlern vorzudringen. Ans unterste Ende der globalen Wirtschaftsordnung. Handwerklich, für mickrige Tageslöhne unter Lebensrisiko abgebautes Kobalt gelangt über ein informelles Handelssystem in die offizielle Lieferkette. Denn im Kleinbergbau kann ein zehn- oder fünfzehnmal höherer Kobaltgehalt pro Tonne erzielt werden als im industriellen Bergbau. Die Zwischenhändler, fast ausschließlich kongolesische junge Männer, kaufen Kobalt von Kleinschürfern an. Die Depots verkaufen ihr Material an industrielle Bergbauunternehmen und Verarbeitungsbetriebe. Ab diesem Punkt ist es nicht mehr möglich, die handwerkliche von der industriellen Förderung zu unterscheiden. Auf die handwerkliche Förderung entfallen 30 Prozent des gesamten in der DRK geförderten Kobalts, womöglich mehr. Die Unternehmen, die an der Spitze der Kobaltkette stehen und enorme Gewinne verbuchen, verweisen gerne auf ihre Verpflichtung zur Einhaltung internationaler Menschenrechtsnormen, auf Nulltoleranz gegenüber Kinderarbeit. Die Realität sieht anders aus, und zwar in allen Fällen, auch in den Vorzeigeminen. Auch sie kaufen durch Schlupflöcher von Kleinschürfern. Von den Kontrollorganen ist noch nie jemand persönlich vor Ort gewesen. Lieferkettengesetze einerseits, die brutale Realität des Kobaltabbaus im Kongo andererseits, das ist unsere Schizophrenie. Wir brauchen den Rohstoff. Das relativ seltene Metall ist ein wesentlicher Bestandteil fast aller heute hergestellten Lithium-Ionen-Batterien. Zudem wird es für viele kohlenstoffarme Innovationen eingesetzt, die für das Erreichen der von den Regierungen verkündeten Klimazielen von entscheidender Bedeutung sind. In jedem Smartphone steckt ein Stückchen Kongo. In den Akkus für Tablets, Laptops und Elektrofahrzeuge entsprechend mehr. So benötigt man für die Batterien von Elektroautos jeweils bis zu zehn Kilogramm raffiniertes Kobalt, mehr als das 1000-Fache wie für ein Smartphone. 2021 wurden in der DRK 111750 Tonnen Kobalt abgebaut. Die Nachfrage steigt. Die Region Katanga in der südöstlichen Ecke des Kongo verfügt über größere Kobaltvorkommen als der Rest der Erde zusammen. Sie ist auch reich an anderen wertvollen Metallen wie Kupfer, Eisen, Zink, Nickel, bis zu Uran, Silber, Gold und Lithium. Eine riesige Unterschicht der Menschheit fristet dort unter sklavenähnlichen Bedingungen ein menschenunwürdiges Dasein. Das Ausmaß der Zerstörung ist gewaltig, das Leid unermesslich. Eindringlich schildert Kara den krassen Gegensatz der Lebenswelten. Mineralien- und Geldströme werden auf allen Ebenen durch ein Netz undurchsichtiger Verbindungen zwischen ausländischen Bergbauunternehmen und kongolesischen Politikern verschleiert. Einige von ihnen bereichern sich – entgegen anderslautender Beteuerungen – noch immer an den Bergbaukonzessionen des Landes, während Millionen Kongolesen unter extremer Armut, Nahrungsmittelknappheit und Bürgerkriegen leiden. Die Gesetzeslage sagt, dass Mineraliendepots nur von kongolesischen Staatsangehörigen angemeldet werden dürfen, dennoch sind fast alle Depots in den Provinzen Haut-Katanga und Lualaba in der Hand chinesischer Händler. Die Bergbauanlagen sind von den Streitkräften der DRK, von Eliteeinheiten der Republikanischen Garde, von der kongolesischen Nationalpolizei, der Bergbaupolizei, privaten Militärfirmen und inoffiziellen Milizen gesichert. Sie sollen Schaulustige abhalten und die Mineralien sichern. Siddharth Kara hat selbst sein Leben riskiert. Bienenfleißig hat er die mineralogischen, chemischen und technischen Zusammenhänge ebenso gründlich recherchiert wie die historischen, politischen, wirtschaftlichen und geographischen. Er schreibt anschaulich und gut lesbar. Viel Zeit hat er sich für Zeugenaussagen genommen. Das ist die große Stärke des Buches. Manche Menschen wollten sich ihm anvertrauen. So lesen wir die neokolonialistisch anmutende Ansicht eines leitenden Minen-Managers – und die Worte einer Mutter, die ihr tot geborgenes Kind in den Armen hält. Seine persönliche Erschütterung kann Kara oft nicht verbergen. Mutig hat er ein wichtiges Buch geschrieben. Das Thema wird uns alle noch beschäftigen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Die Weltwoche Nummer 34, 22. August 2024, S. 72/73