Bildung hat in Afrika einen geringen Stellenwert

Von Volker Seitz.

Das entscheidende Entwicklungshemmnis in Afrika ist die Bildungsarmut. Bildung hat in vielen afrikanischen Staaten, besonders im Sahel, einen geringen Stellenwert. Armut und Analphabetentum gehen oft einher. Mehr als die Hälfte der Kinder weltweit, die keinen Zugang zu elementarer Bildung haben, leben in Subsahara-Afrika. Wenn auch gelegentlich in den Staats-Budgets versteckt, zeigt sich, dass für Waffen oft mehr Geld vorhanden ist als für Bildung und Gesundheit. Aber Bildung ist das wichtigste wirtschaftspolitische und sozialpolitische Steuerungselement. Eine Studie des South African Institute of Race Relations (SAIRR) macht auf beträchtliche Defizite im südafrikanischen Bildungswesen aufmerksam. Es gibt Abbruch-Quoten in der höheren Bildung. Dies führt zu einem gravierenden Fachkräftemangel in den Bereichen Management und Technik. Das relativ hoch entwickelte Südafrika hat nur ca. 500 Ingenieure pro eine Millionen Einwohner (zum Vergleich Japan: 3.306). Auf dem richtigen Weg sind Botswana und Ruanda. Diese Länder haben verstanden, wie stark der Wohlstand eines Landes von der Bildung abhängt. Die Anstrengungen lohnen sich. Sie spielen eine Vorreiterrolle bei gutem Regierungsmanagement. Sie haben eine qualitativ hohe Bildungsinfrastruktur. Ausstattung wie auch Qualitätssicherung sind sehr gut und beide Länder profitieren davon.

Der französische Jurist und Religionswissenschaftler Odon Vallet erbte ein Vermögen von ca. 100 Mio. Euro und gründete 1999 mit seinem Bruder eine Stiftung zur finanziellen Unterstützung von Studenten aus aller Welt, die sich ihre Studien nicht leisten können (Fondation Vallet). Die Stiftung hat seither 41.000 Stipendien vergeben, davon 12.000 an Beniner. Benin wurde wegen seiner politischen Stabilität gewählt. Jedes Jahr werden etwa 1.000 Stipendien nach Benin vergeben. Die besten Schüler von 25 Schulen, verteilt über ganz Benin, werden unterstützt. Die Stipendiaten schaffen die Prüfungen zu 97 %. Vallets Stiftung hat außerdem sechs Bibliotheken im ganzen Land ausgerüstet. Zudem Sprachschulen für Englisch und Deutsch. Trotz der hohen Arbeitslosigkeit in Benin sind die Chancen der Stipendiaten, eine Anstellung zu finden, dreimal so hoch wie der nationale Durchschnitt. Wer für ein Studium ausgewählt wird, erhält die notwendigen Auslagen von 10.000-15.000 Euro pro Jahr. Odon Vallet, selbst Professor an der Sorbonne in Paris, hat häufigen Kontakt mit seinen Stipendiaten und reist jedes Jahr mehrmals nach Cotonou, Porto Novo, Abomey, Parakou, Natitingou. Angesprochen auf die Bildungsdefizite in Afrika südlich der Sahara glaubt er, dass die mündliche Überlieferung eine Rolle spielt. In einigen afrikanischen Staaten sei die Schrift erst gegen 1940 angekommen. In Natitingou im Nordwesten von Benin sei die erste Person, die lesen und schreiben gelernt habe, noch am Leben: ein sehr alter Pastor, der von protestantischen Missionaren ausgebildet wurde. Sein Enkel hätte übrigens gerade erfolgreich am Massachusetts Institute of Technology (MIT) promoviert. Auch der britische Anthropologe Jack Goody, der das anglophone Afrika gut kennt, hat nachgewiesen, dass die Art zu denken sich sehr unterscheidet, ob jemand lesen, schreiben kann oder nicht.

Nur sechs Prozent der jungen Afrikaner gehen auf eine Hochschule, im Weltdurchschnitt sind es 26 Prozent. Nach dem Schanghai-Uni-Ranking schaffen es nur fünf afrikanische Universtäten in die Top 500 der Welt. Sie liegen alle in Südafrika (University of the Witwatersrand, University of Cape Town, Stellenbosch University, University of Johannesburg und University of Kwa-Zulu-Natal). Afrikas Forscher tragen nur etwa zwei Prozent zur globalen Forschungsleistung bei. Aber die Mehrzahl der erfolgreichen afrikanischen Wissenschaftler lehrt an amerikanischen oder europäischen Universitäten. In Afrika gibt es laut einer UN-Studie 500 staatliche Universitäten sowie 1.000 private Hochschulen. Die Kapazitäten reichen aber bei weitem nicht aus.

Der Ghanaer Fred Swaniker gründete die „African Leadership Academy“ in Johannesburg. Eine Kaderschmiede für die künftige Elite, der nicht nur ihre eigene Karriere, sondern das Wohl des Kontinents am Herzen liegt. „African Leadership Academy“ – eine Schule für Jugendliche vom ganzen Kontinent. Der Kontinent dürfe sich nicht länger auf ausländische Investitionen und Entwicklungshilfe verlassen. „Afrika muss sein Schicksal endlich selbst in die Hand nehmen.“ Dazu brauche man vor allem eines: „Führungspersönlichkeiten“. Politiker, die als die neuen Nelson Mandelas für Frieden, Stabilität und Demokratie sorgen. Wissenschaftler, die Impfungen gegen Malaria und Ebola entwickeln. Unternehmer, die „afrikanische Googles und Microsofts“ gründen.

Die Hochschule für Betriebs- und Volkswirtschaft TSiBA, Pinelands bei Kapstadt (TSiBA: Xhosa Wort für „Sprung“) ist eine private Hochschule, ohne staatliche Unterstützung, für ehrgeizige Führungskräfte, die sonst keinen Zugang zu Hochschulbildung hätten. Die Ausbildung der derzeit 320 Studenten ist kostenlos und die Stipendien müssen nicht zurückgezahlt werden. Gegründet wurde die Universität 2005 von Leigh Meinert, einer weißen Südafrikanerin. Unterstützung erhielt sie von ihrem Vater, einem Winzer im Devon Valley. Die Uni wird von Firmen unterstützt, die die Absolventen einstellen. Zahlreiche Studenten und Studentinnen wollen nach ihrem Abschluss ein eigenes Unternehmen gründen.

Der Bericht „The Toughest Places for a Girl to Get an Education“ der NGO „One“ vom Januar 2018 zeigt, dass neun der zehn Länder, wo es am schwierigsten ist Bildung zu erhalten, in Afrika liegen (Niger, Südsudan, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Mali, Guinea, Liberia, Burkina Faso und Äthiopien). Wer lesen und schreiben lernt, hat später bessere Chancen, einen Job zu finden. Mit steigendem Bildungsniveau sind Frauen eher über Familienplanung informiert und haben generell weniger Kinder und gesündere Kinder; gebildete Frauen lernen sich zu wehren und sich vor Krankheiten wie Malaria und Aids zu schützen. Bildung ist das beste Verhütungsmittel. „Je gebildeter ein Mensch ist, desto stärker ist auch sein Wunsch, seine Familienplanung zu kontrollieren“, sagt Ruth Müller vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Der Bildungsnotstand ist die Hauptursache für die enormen Entwicklungsdefizite und das ungebremste Bevölkerungswachstum in Afrika. Es drohen aus diesem Grund Hungersnöte und Kriege. Junge Menschen ohne Bildung, die deshalb für extreme Gruppen anfällig sind, finden in Nigeria, im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik oder anderen Konfliktgebieten in bewaffneten Milizen eine Möglichkeit, Einkommen zu verdienen.

Kleine private Bildungsprojekte sind richtig, wenn ein Projekt über einen längeren Zeitraum läuft und auch ständig vor Ort überprüft werden kann. Entscheidend ist immer, dass es einen Langzeitplan für ein Projekt gibt. Ebenso wichtig ist, wie hoch der Verwaltungsaufwand vor Ort ist, welche Gehälter gezahlt werden, und dass diese nicht höher als ein durchschnittliches Gehalt sind. Auch muss sichergestellt sein, dass ein nicht zu geringer finanzieller Beitrag von den Empfängern geleistet wird. Sie müssen das Gefühl haben, das ihnen Mögliche zum Projekt dazugetan zu haben.

Sinnvoll ist jede Förderung von echten Selbsthilfeprojekten, die Eigeninitiativen wirklich anspornt. Anders als viele andere Projekte es bislang tun, dürfen vor allem Bildungsprojekte nicht bevormunden und die Menschen und Gemeinden nicht abhängig machen, sondern das Selbstbewusstsein und das Eigenwertgefühl aufbauen. Vorbildlich sind deshalb pädagogische Leistungen, die Lehrer aus eigener Kraft erbringen, also im Wesentlichen ohne ausländische Mitwirkung.

Die meisten afrikanischen Staaten geben weniger als ein Prozent des BIP für Bildung aus. Fehlende Infrastruktur erschwert den Weg zur Schule, es mangelt an engagierten Lehrern, an geeigneten Räumlichkeiten, und die Lehrpläne und die Ausstattung der Schulen sind oft schlecht. Viele Lehrer in Subsahara-Afrika sind selbst kaum ausgebildet und die Abwesenheitsquoten sind in einigen Staaten sehr hoch: „Ghost-Teacher“ (Geisterlehrer) werden sie genannt. In Kenia fehlen die Lehrer durchschnittlich jeden vierten Tag. Wegen der schlechten Bezahlung haben sie oft einen Zweitjob. Der südafrikanische Bildungsforscher Servaas van der Berg von der Universität Stellenbosch erklärt, dass Kinder in einigen afrikanischen Staaten vier bis fünf Jahre brauchen, um in der Schule das gleiche Wissen zu erlangen, welches Kinder in Industrienationen in zwei Jahren lernen. Auch wenn Bildung allein Afrika nicht retten kann, so ist Bildung doch eine wichtige Ressource für rohstoffarme Länder, die die sozialen Defizite der Gesellschaft ausgleichen kann und der Schlüssel für eine gedeihliche Zukunft ist. Obwohl dies eine Binsenweisheit ist, werden aus dieser Erkenntnis noch nicht in ausreichendem Ausmaß die notwendigen Schlüsse gezogen. Europa kann kein einziges afrikanisches Land „retten“. Stattdessen müssen sich die Regierungen in diesen Staaten viel stärker um die Bildung der nachwachsenden Generation kümmern. Leider genießen die Themen Bildung und Ausbildung in vielen afrikanischen Staaten bis heute nicht die nötige Priorität. Dort, wo ambitionierte Politiker wie in Botswana oder Ruanda konsequent und zielgerichtet Mittel in Bildung, Familienplanung und wirtschaftliche Dynamik gesteckt haben, wird auch die Armut verringert.

Sollte das Bevölkerungswachstum, wie von der UNO prognostiziert, anhalten, wird der Kontinent die Menschen nicht mehr mit Nahrung, Trinkwasser oder Jobs versorgen können.  Allein Bildung, Berufsausbildung, Arbeitsplätze, Gleichberechtigung der Frauen können eine Veränderung der Mentalität bewirken. Mit Bildung können die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Nur dort, wo Bildung und Familienplanung für breite Bevölkerungskreise zur politischen Priorität gemacht wurden, wie in den asiatischen Tigerstaaten, ging die Überpopulation zurück und die menschliche Lebensqualität und Leistungsfähigkeit wurde erhöht.

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“. Das Buch ist beim Verlag vergriffen. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe wird im September 2018 bei dtv erscheinen. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika.