Kongo

War das nun eine historische Wahl? Der erste weitestgehend friedliche Machtwechsel in der Demokratischen Republik Kongo seit 1960? Bleibt Félix Tshisekedi Präsident des Kongo und Kabila der starke Mann im Hintergrund?

Joseph Kabila, der ehemalige Präsident der DR Kongo, dessen Amtszeit eigentlich 2016 zu Ende gewesen wäre, hatte Zwist unter der Opposition gesät. Ein großer Teil der Oppositionskandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2018 tauchte gar nicht erst auf. Noch im November 2018 war unklar, ob die Opposition sich auf einen Kandidaten würde einigen können, etwa den Ex-Manager Martin Madidi Fayulu. Neben ihm in Führung lag Félix Thisekedi, Spitzenkandidat der „Union für Demokratie und sozialen Fortschritt“.

Unterstützt von prominenten Kabila-Gegnern, unterstützt von der im Kongo traditionell starken katholischen Kirche, unterstützt auch vom Ausland war Fayulu. Und der sprach dann von einer „Putschwahl“. Am 30. Dezember 2018 hat der Kongo gewählt. Nicht alle Regionen, in drei Landesteilen wird erst im März 2019 gewählt. Begründung: die unsichere Lage, von Rebellen kontrollierte Gebiete und eine Ebola-Epidemie. 1,25 Millionen von 40 Millionen Wahlberechtigten kamen also gar nicht zeitgerecht zur Wahl. Auch sonst gab es Unregelmäßigkeiten. Vielerorts fehlten Wählerlisten und in Kinshasa war die Zahl der Wahllokale kurzfristig verringert worden. Koffi Olomide sang gegen Wahlcomputer an. Nach der Wahl hatte es „logistische Probleme“ gegeben. Mit Verzögerung verkündete am 10. Januar 2019 die nationale Wahlkommission Céni, die von der Regierung de facto kontrolliert wird, Félix Tshisekedi sei als Sieger aus der Präsidentschaftswahl hervorgegangen. In der DR Kongo gilt das „Single-Round Vote“: ein Kandidat braucht, um sich durchzusetzen, lediglich mehr Stimmen als jeder andere, die einfache Mehrheit, also keine Mehrheit von über 50 Prozent. Einerseits brach Jubel aus: ein Oppositionskandidat hat gewonnen! Andererseits erklärte die katholische Kirche, die 40.000 Wahlbeobachter im Einsatz hatte, Fayulu sei der wirkliche Gewinner der Wahl. Am 11. Januar gab es bereits vier Tote durch Anhänger Fayulus. Dieser rief in Interviews in französischen Medien zum Widerstand gegen Tshisekedi auf. Fayulu gilt im Ausland als der wohl unabhängigste Kandidat. Auf Wahlplakaten nannte er sich „Soldat des Volkes“. Er war Manager des Ölkonzerns Exxon und ist neu in der Politik. Tshisekedi will in die Fußstapfen seines im Februar 2017 gestorbenen prominenten Vaters Etienne treten.

Als klar wurde, dass Kabilas Wunschkandidat, der Ex-Innenminister Emmanuel Ramazani Shadary, hoffnungslos unterliegen würde, hat sich offenbar der Geheimdienst eingeschaltet. Man konnte die Wahl nicht zu Shadarys Gunsten fälschen. Eingeweihte vor Ort berichten, dass Kabila sich nun mit dem schwächeren der Oppositionskandidaten, eben mit Tshisekedi einigte: erst einmal soll alles beim Alten bleiben, der Kabila-Clan nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Ein fauler Pakt, und so hat Félix Tshisekedi die Wahl gewonnen. Das wurde auch vom Verfassungsgericht bestätigt (die Richter hatte allesamt noch Kabila benannt). Am 24. Januar 2019 wurde Félix Tshisekedi als Präsident Kongos vereidigt.

Im Kongo haben junge Leute 2012 in Goma die Bürgerbewegung „La Lucha“ gegründet. Gewalt ist in Goma Realität. „Man kann nur sterben, oder etwas tun“, sagt Reagen El Miviri, Rechtsanwalt, Aktivist und Mitglied von „La Lucha“ (bei einem Vortrag im „Bellevue die Monaco“ in München am 30. November 2018). Ein Aktivist von La Lucha war ermordet worden, Luc Nkulula. La Lucha agiert gewaltfrei und unterstützt die Idee eines neuen Kongo, z.B. durch Stärkung einer gemeinschaftlichen Opposition und durch den Einsatz für freie Wahlen. Sie setzte sich aber nicht für einen bestimmten Präsidentschaftskandidaten ein. La Lucha hinterfragte die Autorität von Präsident Kabila. Ein Novum, denn bislang wurde Autorität nicht hinterfragt. 2015 organisierte La Lucha eine Konferenz in Kinshasa, zu der auch Vertreter von Y’en a marre und Balai citoyen eingeladen waren, um Erfahrung auszutauschen. Soziale Bewegungen, inspiriert vom Arabischen Frühling 2011, sind: der Yenamarrisme im Senegal, in Burkina Faso Balai citoyen, Bürgerbesen, oder auch Filimbi, Abpfiff, in der Demokratischen Republik Kongo. Solche Bewegungen sollen in ganz Afrika entstehen. Die Konferenz wurde aber gewaltsam von nationaler Seite gestört, es kam zu Verhaftungen und langen Haftstrafen. Miviri spricht für 2015 von einem „Paradigmenwechsel“ und der Einsicht, dass der „Kampf“ lange werden würde. La Lucha agiert aber nach wie vor gewaltfrei. Sie ist mittlerweile in allen großen Städten in Kongo vertreten und hat über 1.000 Mitglieder, und sie ist dafür bekannt, dass sie „gute Leute“ hat. Sie arbeiten mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen. Zur Kommunikation werden soziale Netzwerke, Twitter und Facebook genutzt. Nicht umsonst hatte die Regierung drei Tage vor der Wahl die sozialen Netzwerke gesperrt. Aber davon war La Lucha ausgegangen.

Den Kongo eine Demokratie zu nennen ist einigermaßen verwegen. Der Staat zählt durch jahrzehntelange allgegenwärtige Korruption, Kriege und Bevölkerungswachstum zu den instabilsten und ärmsten Ländern der Welt – trotz oder wegen seines sehr großen Rohstoffreichtums (Coltan, Kupfer, Kobalt, Uran, Zinn, Gold, Erdöl, Diamanten, Edelhölzer). Der Kongo ist kein effektiver, zentralisierter Staat. Die Regierung in Kinshasa kann die Gesetze nicht flächendeckend durchsetzen, weder Ordnung noch Infrastruktur schaffen. Ein ehemaliger Minister für den öffentlichen Dienst hat kundgetan, dass es fast die Hälfte der Staatsbediensteten nicht gibt. Dennoch werden ihre Gehälter ausgezahlt. Dem Kongo entgehen wegen politischer Unsicherheit, unmenschlicher Arbeitsbedingungen und der fehlenden internationalen Rechts- und Sicherheitsstandards erhebliche Einnahmen.

Seit der Unabhängigkeit 1960 gab es im Kongo keinen friedlichen Machtwechsel. Zugang zur politischen Macht bedeutet Zugang zu den Ressourcen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg schätzt, dass der Familienclan des früheren Staatschefs Joseph Kabila Anteile an mindestens 70 Firmen und mehr als 120 Lizenzen zum Abbau von Bodenschätzen hält. Das Vermögen von Joseph Kabila wird auf 15 Milliarden Dollar geschätzt. EU und USA hatten gegen hochrangige Mitglieder der Regierung Kabila Sanktionen verhängt. Durch die Misswirtschaft und Korruption liegt das derzeitig Bruttoinlandsprodukt unter demjenigen von 1958. Rund zwei Drittel der Kongolesen sind jünger als 25 Jahre. Die Arbeitslosigkeit liegt bei mindestens 60 Prozent. Allein Deutschland unterstützt das Land jährlich mit durchschnittlich 233 Millionen Euro.

Dabei wäre der Kongo ein Land mit großem Wohlstandspotential. Van Reybrouck hat das treffend in seinem Buch „Kongo“ beschrieben: Unglücklicherweise hatte der Kongo immer das, was die Welt gerade „benötigte“: Zunächst Elfenbein, dann Kautschuk, der für Autoreifen und die Ummantelung der Drähte in der beginnenden Elektrifizierung gebraucht wurde, ebenso Kupfer. Heute kommt beispielsweise über die Hälfte des Kobalts auf der Welt aus der Demokratischen Republik Kongo: 66.000 Tonnen von weltweit 123.000 im Jahr 2016. Ohne Kobalt, ein Beiprodukt von Kupfer, gibt es keine Batterien für Computer oder Elektroautos. Kongos Kobalt, gefördert in der Südregion Katanga, geht zu 90 Prozent nach China. Der Abbau wird vom Staat kontrolliert. Und dieser ignoriert, dass beispielsweise der Bergbau in Mutanda, einem Tagebaukomplex in der Nähe der Stadt Kolwezi, die Flüsse verseucht und dass die Lebensbedingungen in den Bergbaustädten Katangas miserabel sind. Das silbrig-graue Metall Kobalt wird hauptsächlich in Lithium-Ionen-Batterien eingesetzt. Kobalt ermöglicht ein schnelles Aufladen von Batterien und schafft gleichzeitig eine hohe Energiedichte. Tesla braucht für seine neuesten Modelle etwa 12 kg pro Auto. Mobiltelefon-Unternehmen benötigen Kobalt für ihre Batterien. Auch in der Glas- und Keramik-Industrie, bei der Stahlerzeugung, beim Korrosionsschutz, für Katalysatoren, in der Landwirtschaft und in der Medizin ist Kobalt unersetzlich. Die Nachfrage ist weitaus höher als die Liefermöglichkeiten. Experten von Macquarie Research schätzen das Kobalt-Defizit bis 2020 auf über 5.340 Tonnen. Der Preis für eine Tonne hat sich innerhalb von zwei Jahren auf 75.000 USD verdreifacht. Der Grund für das Angebotsdefizit liegt in der DR Kongo. Da unter den 140.000 Arbeitern etwa 40.000 Kinder in den Minen arbeiten, die ohne Rücksicht auf Gesundheit das Produkt manuell aus dem Boden holen, verweigern viele Unternehmen aus ethischen Gründen den Kauf des Metalls aus dem Kongo. Sie weichen auf andere Länder wie China, Kanada, Russland und Australien aus. Francois-Xavier Maroy Rusengo ist seit 2006 Erzbischof von Bukavu im Osten Kongos. (Er hat schon mehrere Attentate überlebt. Seine drei Vorgänger sind tot.) In einem Interview mit der F.A.Z. (7. Juni 2017, S. 6) zum Krieg um die Bodenschätze im Kongo sagte er: „Die Rohstoffe sind ein großes Unglück…. Wenn die Regierung noch nicht einmal das gesamte Territorium Kongos kontrollieren kann, gibt es natürlich keinen fairen Handel….. Obwohl wir so reich an Rohstoffen sind, sind wir eines der ärmsten Länder der Welt…..Wir haben neun Nachbarländer – deshalb brauchen wir dringend geschützte Grenzen, über die Rebellen nicht ausführen können, was sie wollen…. Es gibt über vierzig verschiedene Gruppen – sie sind alle afrikanisch, sie sind alle schwarz, aber darüber hinaus ist es schwierig, sie genau zu benennen…. Die Rebellen wollen nicht, dass wir in Frieden leben. Denn das widerspricht ihren Interessen.“

Von 1885 bis 1960 war der Kongo belgische Kolonie. König Leopold II. beanspruchte das Land, das so groß wie Westeuropa ist, bis 1908 als Privatbesitz. Nach 1960 gab es nie einen funktionierenden Staat und Vertrauen in staatliche Institutionen oder Parteien. Kongo hat mehr als sechs Mal den Namen geändert: Internationale Vereinigung des Kongo, Studienkomitee des Oberen Kongo, Unabhängiger Staat Kongo, Belgischer Kongo, Republik Kongo, Republik Zaïre, Kongo-Léopoldville, Demokratische Republik Kongo, mitunter Kongo-Kinshasa, oder auch Kongo-Zaïre… Diktator Mobuto Sese Seko hatte 1960 die Macht ergriffen. Erst infolge des Kongo-Krieges begann sie zu wackeln. Millionen von Kongolesen starben zwischen 1996 und 2003 bei Bürgerkriegen und Konflikten. Mobuto Sese Seko regierte 32 Jahre, ehe er 1997 von Laurent-Désiré Kabila gestürzt wurde. Nach Kabilas Ermordung 2001 durch einen Leibwächter übernahm sein damals 29-jähriger Sohn Joseph Kabila das Amt des Präsidenten.

Hoffnungsträger sind Menschen wie Dr. Denis Mukwege, Direktor des Panzi-Krankenhauses in Bukavu. Der Gynäkologe versucht seit 1999 mit zwölf weiteren Ärzten, vergewaltigte Frauen zu retten. 2014 wurde er mit dem Sacharow Menschenrechtspreis des EU Parlaments und 2018 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. 4,49 Millionen Kongolesen sind innerhalb des Landes auf der Flucht (OCHA 2018), 1,3 Millionen brauchen Hilfe. Nur den wenigsten gelingt die Flucht nach außen. 26.555 Kongolesen leben in Belgien und 4.500 Belgier im Kongo. Belgien ist der wichtigste europäische Handelspartner des Kongo. 1.300 Firmen exportieren jährlich Waren im Wert von 428 Millionen Euro in den Kongo. Der Kongo liefert Waren im Wert von 262,1 Millionen nach Belgien. Der belgische König Albert II. hat den Kongo nur einmal besucht, 2010 anlässlich der Feier zum 50jährigen Jubiläum. Sein Sohn Philippe noch nicht, zumal die Zustimmung der belgischen Regierung derzeit fraglich scheint. Alexander De Croo, Vizepremierminister in Belgien, erklärte Mitte September 2017: „Der Kongo ist kein Staat, sondern ein System zur persönlichen Bereicherung.“

Der neue Präsident Félix Thisekedi spricht nun von „Versöhnung“. Im Wahlkampf hatte er noch die Korruption im Kongo als Hauptübel angeprangert und angekündigt, jeden Dieb „für 25 Jahre ins Gefängnis zu werfen“, hätte er auch nur einen Dollar gestohlen.

Die Nachbarländer und die Afrikanische Union haben Tshisekedis Wahl akzeptiert. Kenias Präsident Uhuru Kenyatta war zur Vereidigung erschienen. Gratuliert haben Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, Tansanias Präsident John Magufuli und Burundis „Ewiger Führer“ Pierre Nkurunziza. Die katholische Kirche könnte einen Protest organisieren.  Frankreich und Belgien könnten die Wahl anprangern. Einerseits will man sich nicht einmischen, fürchtet um seinen Einfluss. Andererseits kann so der Rohstoffbezug günstig weitergehen, sei es über Ruanda oder China. Vielleicht kommt alles nochmal ganz anders, weil es auch anders ist, als es sich darstellt. Ich erinnere mich an die Worte Reagen El Miviris: Wenn dir jemand den Kongo erklärt, und du sagst, du hast es verstanden, dann hat man es dir schlecht erklärt. Der Kongo ist nicht zu verstehen. Miviri meint allerdings auch, die Kongolesen müssten selbst wissen, was sie wollen, und das dann tun. Der Wille des Volkes war aber nicht Tshisekedi, das war der Wille Kabilas. Was nun? Hilfe von außen lehnt Miviri von La Lucha ab. Die Kongolesen selbst sind des Kämpfens müde.