Kaffeewald

„Wartet mal“, rufen Peter und Carola. Sie haben ein Motiv entdeckt, das sie aufnehmen wollen. Keine zehn Meter sind sie von uns entfernt, aber wir sehen sie nicht mehr. Wir sind im Urwald, und das Besondere ist dieses dichte Grün. Der dampfig-erdige Geruch. Das permanente Zirpen der Zikaden, ab und an der Schrei eines Vogels. Peters Idee: nach Äthiopien in den Kaffeewald. Vier Deutsche in Begleitung dreier Äthiopier. Desse mit der Machete geht voran, schlägt den Weg frei und setzt Markierungen, damit wir den gleichen Weg wieder zurückfinden. Gedefa, Agrarstudent, hat nichts dabei als einen linierten Spiralblock und Stift. Tadesse ist Chef der Expedition. Dr. Tadesse Woldemariam Gole, Direktor des Environment and Coffee Forest Forum. Als erstes hat er uns ins Herz des Kaffeewaldes geführt. Ganz ruhig sagt er jetzt: „Very few saw the wild coffee.“ Die Exklusivität verstärkt das überwältigende Gefühl, das hier erleben zu dürfen, Urwald, Exotik. Ja, stimmt, das hat sich immer schon auf Erotik gereimt.

Peter und Carola legen einen neuen Film ein. Sie machen analoge Schwarz-Weiß-Fotografie, zeichenhafte Bilder, immer gebündelt in Serien, gerade entsteht die Serie „Kaffeewald“. Im Yayu Kaffeewald, Ursprungsgebiet des Arabica Kaffees. Hier im UNESCO Schutzgebiet stehen wilde Kaffeesträucher im Urwald. „Biodiversitäts-Hotspot“, eine natürliche Gendatenbank, sollten neue Eigenschaften für den Plantagen-Kaffee gebraucht werden wie Toleranz gegen Trockenheit oder Krankheiten. Oliver Engelmayer ist mit von der Partie, Landschaftsarchitekt, ein Mensch, der zu jeder Pflanze etwas sagen kann. „Das ist eine äthiopische Olive. Sie wird gekapert von Feigen“, erklärt er lakonisch. Drei Baumstrünke winden sich um einen Stamm. Diese Bäume sind hoch, zehn, zwanzig Meter? Kaffee gedeiht im Unterwuchs, er braucht Schatten. „Würgefeigen“, lese ich später nach. Irgendwann werden sie die Olive komplett gekapert haben, übrig bleibt ein Feigenbaum. Oliver und Tadesse fachsimpeln. Tatsächlich scheint es Pflanzen zu geben, die auch sie nicht kennen. Tadesse möchte mehr Menschen hierherführen, den Tourismus ankurbeln, ein Camp im Wald errichten. Mir ist es gerade lieber, dass eine Fußmarschstunde entfernt Dereje mit dem vierradgetriebenen Geländewagen wartet. Dereje ist für die Defense Force in Dschibuti gefahren, er scheut keine Situation auf der Schotterpiste.

Für heute geht es gemütlich weiter, zur Halbwildkaffeesammlung. Kaffee, wilder Pfeffer und Yams werden hier kultiviert. Der „Wildkaffee“, den wir im Bio-Laden und in der Hochgastronomie in Deutschland kaufen, ist eine Marketing-Bezeichnung, erfahren wir. Wildkaffee-Sammlung wäre ungefähr so ergiebig wie bei uns Wildpreiselbeeren-Sammlung. Es gibt Waldkaffee, erklärt Dr. Tadesse. Wildkaffee gibt es nicht, er ist immer irgendwie schon kultiviert. „Organic“ ist er freilich, für künstlichen Dünger und Pestizide fehlt hier schlicht schon das Geld. Auf Fasils Kaffeefarm beginnt die Erntezeit. Wir haben Ende Oktober, und die ersten Kaffeekirschen sind leuchtend rot. Auf Stellagen werden sie in der Sonne getrocknet, dabei rasch braun, mehrmals gewendet. „Alles hier ist organic“, lacht Fasil, „der Kaffee, der Honig, die Avocados. Auch der Hund ist organic – und die Mädchen!“

Diese braten das Zicklein, während den Gästen ein köstliches Getränk aus Honig und Quellwasser gereicht wird. Gegessen wird auf dem Boden. Man sitzt im Kreis um eine große runde Platte. Fasil bereitet es Freude, seinen weißen Gästen die zartesten Stücke Ziegenfleischs zuzuschieben. Nach dem Essen erleben wir die traditionelle Kaffee-Zeremonie. Weihrauchduft und frisch gerösteter Arabica-Kaffee, Äthiopiens Geschenk an die Welt. Drei Tassen muss man trinken, die erste zum Genuss, die zweite, um Probleme zu besprechen, die dritte zum Segen des Hauses, wissen wir aus dem Reiseführer. „Ach was?“, lacht Fasil, zeigt seine Zahnlücken, setzt sich auf einen gelben Kanister – ein echtes Ökoparadies ist das hier – und zupft Khat-Blättchen von einem Bündel.

Khat, ein immergrüner Strauch, wird als leichtes Aufputschmittel gekaut. Er muss immer frisch sein, kaum geerntet wird er in Bündeln verkauft. Fährt man die Straße entlang und sieht vor einem Haus an einem Ast Bananenblätter, weiß man, hier gibt es Khat. Hängt ein Kanister an dem Ast, gibt es Bier, hängt ein Teller da, gibt es Essen. Wo es den besten Kaffee gibt, weiß allerdings nur Frau Böhm. Überhaupt Frau Böhm. So fing das ja alles an. Peter wollte in den Kaffeewald, Carola zögerte, Oliver scherzte, in Nordportugal sei es auch sehr schön, und ich dachte an Almaz Böhm. Ihre Bücher hatten mich berührt, ich spürte ihre Herzlichkeit und ihre Kompetenz durch die Worte. Auf meine E-Mail antwortete sie sofort. Die Bedeutung des Kaffee-Themas hat sie überzeugt. Die Äthiopier haben den besten Kaffee der Welt. Sie sind selbst starke Kaffeetrinker. Die Hälfte des äthiopischen Kaffees wird exportiert, er ist wichtigstes Exportgut. Viele Großröster kaufen äthiopischen Kaffee zu, um ihrem „blend coffee“ zu einer besseren Qualität zu verhelfen. Unseren ersten Kaffee mit Frau Böhm trinken wir auf der Terrasse des Abebech-Hotels in Amboo. Das liegt auf unserer Route von Addis Abeba nach Metu. Die zweite Rast-Station ist Bedele. Auf der letzten Etappe sehen wir zunehmend aus den Autofenstern Kaffee: Kaffeeblätter glänzen und glitzern im Sonnenlicht.

Dieses Glitzern, die Struktur der Kaffeesträucher inmitten der Pflanzenvielfalt und die ganz besondere Atmosphäre halten Carola Vogt und Peter Boerboom fest, im Kaffeewald, im Halb-Wald und im privaten Kaffee-Garten. Wir haben viel Glück, dass alles klappt in nur fünf Tagen. Auch eine staatliche Kaffeeanzucht können wir besuchen. 40.000 sechs Monate alte Kaffeesämlinge wachsen hier unter Stroh-Dächern (Kaffee braucht Schatten). Sie sind erst zehn Zentimeter hoch, Kaffee wächst langsam. Die kleinen Pflänzchen brauchen keinen Dünger und keine Pestizide – nur Affen reißen vielleicht mal eines aus. Aber sie müssen natürlich gegossen werden, und der Schutzzaun muss kontrolliert und Instand gehalten werden. „Was verdient ein Arbeiter auf dieser staatlichen Farm?“, frage ich. Er verdient 1.000 Birr monatlich, bei sechs Arbeitstagen pro Woche, so die Antwort. 33 Euro. Monatsgehalt. Unser Feierabend-Bedele-Bier in einer Bar in der Provinzhauptstadt Metu kostet 16 Birr. Auch das wollen wir und wollen die Fotografen mit ihren Bildern erreichen: mehr Wertschätzung des äthiopischen Waldkaffees.